Besuch von Landtagspräsidentin Muhterem Aras

Schüler sorgen sich um Demokratie: Wie Landtagspräsidentin Muhterem Aras ihnen dennoch Mut macht

Hoher Besuch wurde im Berufsschulzentrum Stockach empfangen: Die Landtagspräsidentin war an der Schule zu Gast, um mit den Jugendlichen ins Gespräch zu komme. Sie legt ihnen nahe, sich politisch zu engagieren. 
 

Dorothea Wehinger (MdL, Fünfte von links) hatte den Kontakt zum BSZ Stockach hergestellt, weil Muhterem Aras (Mitte), Präsidentin des Landtags von Baden-Württemberg, gerne mit Jugendlichen über die Wichtigkeit der Demokratie sprechen wollte. Die Schüler des Wirtschaftsgymnasiums hatten sich im Vorfeld Fragen überlegt. Sie zeigten sich beeindruckt von der Politikerin und ihren Aussagen. | Bild: Claudia Ladwig

Zwei dunkle Limousinen vor dem Schulgebäude, zwei Sicherheitskräfte im Klassenraum: Der Vormittag mit Landtagspräsidentin Muhterem Aras im Berufsschulzentrum Stockach war besonders. Schulleiterin Saskia Metzler sagte, Dorothea Wehinger (MdL, Grüne) habe die Idee zu der Veranstaltung gehabt, weil die Politikerin bei ihrem Besuch gerne mit jungen Menschen in Kontakt kommen wollte.

85 Schüler des Wirtschaftsgymnasiums hatten Fragen vorbereitet. Die Aufregung der Moderatorinnen Alina Niess und Magdalena Baumann legte sich schnell – auch weil die Landtagspräsidentin gleich an ihren Tisch kam und sehr zugewandt auf alle Fragen einging. Mehrfach hob sie die Bedeutung der Demokratie hervor und ermutigte die Jugendlichen, wählen zu gehen und sich auch selbst zu engagieren.

Manchmal muss die Polizei ins Parlament kommen 

Die Schüler tasteten sich langsam vor und fragten zunächst nach Aras‘ Aufgaben im Landtag. Sie achte wie ein Schiedsrichter beim Fußball darauf, dass sich alle an die Regeln halten, erläuterte sie. Es gebe den Ordnungsruf (quasi die gelbe Karte) und wenn die rote Linie massiv überschritten werde, folge der Sitzungsausschluss (rote Karte). Dann müsse der Abgeordnete den Saal verlassen. „Wenn er das nicht tut, was schon vorgekommen ist, mache ich von meinem Hausrecht als Landtagspräsidentin Gebrauch.“ Die Sitzung werde unterbrochen und die Polizei geleite die Person aus dem Saal. Sie sei zudem Chefin der Landtagsverwaltung mit 250 Beschäftigten in unterschiedlichen Bereichen und repräsentiere den gesamten Landtag mit derzeit fünf Fraktionen.

Keine Angst vor dem Wettbewerb 

Ihr Migrationshintergrund habe weder Vor- noch Nachteile gehabt. Sie sei insgesamt auf eine sehr offene Atmosphäre gestoßen und relativ früh zu den Grünen gekommen. Wenn man – egal ob in Schule, Verein oder Politik – an einem Amt Interesse habe, müsse man sich darum bewerben und dürfe keine Angst vor dem Wettbewerb haben. „Demokratie lebt davon, dass man wählen darf.“ 
Die Antwort führte zur Frage der Teilhabemöglichkeiten an der Politik. Eine geringe Wahlbeteiligung sei grundsätzlich bedenklich, so Aras. „Die Demokratie ist nur so stark, wie sie unterstützt wird. Es gibt nicht nur Bürgerrechte, auch Bürgerpflichten“, betonte sie und ergänzte: „In vielen Ländern setzen Menschen ihr Leben aufs Spiel, um wählen zu dürfen. Es ist nicht zu viel verlangt, alle paar Jahre zur Wahl zur gehen.“

Bald dürfen schon 16-Jährige wählen 

Parlamente sollten die Gesellschaft widerspiegeln, deshalb habe man das Landtagswahlrecht geändert. Bei der Landtagswahl kann 2026 bereits mit 16 Jahren abgestimmt werden – ebenso wie bereits am 9. Juni bei der Kommunal- und Europawahl. „Demokratie lebt vom Mitmachen. Sie ist nicht vom Himmel gefallen, sondern ein unglaublich wichtiges Wertesystem, ein hohes Gut, das, wenn man es nicht schützt und verteidigt, vielleicht irgendwann wegbricht.“ 
Aras appellierte an die Jugendlichen: „Geht zur Wahl. Macht ein Event daraus, geht in Gruppen wählen und danach zum Brunchen. Animiert Freunde und Bekannte, dann könnt ihr mitbestimmen, wer euch im Landtag oder auf kommunaler Ebene vertritt.“ Sie gab auch Beispiele: „Wir erlassen Gesetze, die das Leben aller betreffen. Wenn wir über Bildungspolitik reden, geht es euch an. Wenn ihr nicht dabei seid, habt ihr keine Chance, eure Perspektive reinzubringen. Geht wählen oder lasst euch aufstellen und wirkt mit. Wir alle bilden den Staat. Jeder kann einen Beitrag leisten, dass diese Demokratie geschützt, erhalten und weiterentwickelt wird.“
Aras bekräftigte, trotz aller Herausforderungen funktioniere dieser Staat. „Wir leben in einem starken Wirtschaftsstandort und demokratischen Rechtsstaat. Wir könnten etwas zuversichtlicher in die Zukunft schauen. Wenn sich alle unterhaken, die an einer demokratischen Gesellschaft interessiert sind, sind wir unglaublich stark. Das würde ich mir wünschen.“

Dafür erhielt sie Applaus, dennoch glaubten zwei Drittel der Schüler, die Demokratie stecke in einer Krise. Die Landtagspräsidentin teilte ihre Sorge. Viele Herausforderungen müssten seitens der Politik bewältigt werden, selbstverursachte Themen und solche von außen. Seien es die Folgen des Ukraine-Kriegs oder die Klimakrise. Diese zu lösen bezeichnete sie als die größte Menschheitsaufgabe. Eine Transformation der Wirtschaft sei notwendig und immer, wenn große Veränderungen anstünden, hätten die Menschen verständlicherweise Angst. „Wir sind doch das Land der Tüftler und Ingenieure, wir können innovative Produktionsweisen entwickeln“, ermutigte sie.

Was Hoffnung macht 

Der zunehmende Rechtsextremismus beunruhigt die Schüler ebenfalls. Sie fragten nach möglichen Maßnahmen. Muhterem Aras betonte: „Auf komplexe Herausforderungen gibt es keine Ja-/Nein-Antwort.“ Die Gefahr sei gegeben, das zeigten nicht zuletzt die Recherchen von Correktiv über ein Treffen von Vertretern der rechten Szene, bei dem von „Remigration“ gesprochen worden sei, man aber Deportation gemeint habe.
„Nicht umsonst stehen genau solche Gruppierungen unter Beobachtung des Verfassungsschutzes.“ Sie sehe aber auch Hoffnung. Es gebe ein breites Bündnis von Menschen in der Gesellschaft, die dem Rechtsextremismus die rote Karte zeigten. „Das ist ein konkreter Auftrag an die Politik. Bei allen politischen Differenzen: Wenn es um die Demokratie geht, muss die Brandmauer stehen.“

(Claudia Ladwig I Südkurier-Artikel)